Die Angst vor dem Atheismus

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat, so man Wikipedia glauben schenken darf, rund 1,8 Millionen Einwohner. Sie ist weltoffen, gastfreundlich und modern. Ein idealer Ort also, um eine mehrtägige Veranstaltung abzuhalten – zum Beispiel den „Tag der Solitär-Spieler“. Ein großes Interesse wäre garantiert, ist doch dieses Spiel im Lieferumfang des verbreitetsten PC-Betriebssystems bereits enthalten und erfreut sich enormer Beliebtheit an den Bildschirmarbeitsplätzen und Heim-PCs dieser Welt. Bliebe nur noch die Frage, wie man das finanziert. Die naheliegendste Lösung wäre, einfach von jedem Hamburger 4 Euro zu kassieren. Den Rest kann man dann über Sponsoren, Eintrittsgelder und Eigenmittel zusammen bekommen.

Wer jetzt gestutzt hat und sich wundert, wie ich denn auf die absurde Idee komme, man könne einfach so jeden Einwohner zur Kasse bitten, dem sei Folgendes erklärt:
von den 1,8 Millionen Hamburgern sind laut Wikipedia rund 32% Angehörige der Evangelischen Kirche, also rund ein Drittel. Als nun Anfang Mai eben jenes Drittel den Deutschen Evangelischen Kirchentag abhielt, gab alleine der Hamburger Senat dafür Zuschüsse in Höhe von 7,5 Millionen Euro – grob gerundet also 4 Euro pro Einwohner. Geld, das aus den Steuern und Abgaben aller Hamburger kommt, nicht nur aus denen der ca. 600.000 Evangelen. Somit wäre es ja nicht abwegig, auch für einen Solitärspielertag die Beteiligung aller einzufordern – schließlich würden dessen Besucher ja die örtliche Wirtschaft durch Unterbringung, Verzehr und Shopping ankurbeln.

Genau an diesem Punkt meiner Argumentation dürfte sich meine Leserschaft in drei Lager teilen. Diejenigen, die sie für logisch und nachvollziehbar halten, diejenigen, denen die völlige Absurdität die Haare zu Berge stehen lässt, und zu guter Letzt diejenigen, deren Puls schneller wird und die sich beleidigt und angegriffen fühlen.

Und um eben diese letzte Gruppe geht es mir. Menschen, die meine satirisch-sarkastische Kritik an der öffentlichen Finanzierung eines religiösen Events als Kampfansage auf die grundgesetzlich verbriefte Religionsfreiheit wahrnehmen. Zugegeben, eine religiöse Überzeugung kann man nur mit viel Fantasie einem Kartenspiel gleichsetzen. Aber das ist nicht der Kern. Denn die bedroht gewähnte Religionsfreiheit beinhaltet auch die negative Religionsfreiheit, also das Recht, nicht religiös sein zu müssen.

Artikel 136 WRV regelt, dass die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden. Außerdem darf niemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.

Nun wird mit Steuergeldern also eine religiöse Veranstaltung finanziert. Niemand ist gezwungen, an ihr teilzunehmen, dennoch ist er zwangsweise beteiligt – indem er sie mitbezahlt, und damit auch den Transport ihrer Inhalte. Christliche Missionierung, zwangsbezahlt – unter anderem – von Atheisten.
Doch wehe, der Atheist übt nun Kritik an dieser Praxis. Dann sind sie schnell bei der Hand, die Vorwürfe. Den Glauben wolle man zerstören, in das Leben der Gläubigen eingreifen und ihnen seinen Willen aufzwingen. Dabei sei man ja auch gar kein Atheist, sondern nur Anbeter des schnöden Mammons.

Beim lieben Geld hört es indes freilich nicht auf. Dieser Tage brach der Streit auch auf rein ideologischer Ebene wieder einmal aus. Es ging um religiöse Symbole an öffentlichen Orten, insbesondere an solchen, an denen Religion keine Rolle spielt und spielen darf. Zum Beispiel ein Gerichtssaal. Sind Inhalte einer bestimmten Religion der Maßstab, an dem sich unsere Rechtsprechung zu orientieren hat ? Glücklicherweise nicht, denn was die heiligen Schriften verkünden steht oft im krassen Widerspruch zu dem, was sich in unseren Gesetzen findet. (vgl. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und Lev. 18:22). So stellt sich dann die Frage, warum denn nun ausgerechnet dort, wo die Texte der Bibel keine Relevanz haben, unbedingt ein Kruzifix zu hängen hat. Oder besser, warum es denn die die Religionsfreiheit einschränken und Gläubige beeinträchtigen würde, wenn man es entfernte. Die Aufregung ist jedenfalls groß, und ein massives Unverständnis seitens der Gläubigen spiegelt sich in den Kommentarsektionen der Tagespresse wider. Daß jemand die selbst empfundene Symbolik nicht nachvollziehen kann, übersteigt die Beherrschung.

 Ist das nicht irgendwie christianophob, rassistisch und kulturunsensibel? Ich meine, Kritik am Christentum muss natürlich möglich sein, aber nur sachlich und respektvoll gegenüber dem religiösen Befinden und der Kultur der Gläubigen.

Ähnlich verhielt es sich vor kurzem in Österreich. In einer Volksschule wurden auf Bestreben einer religionslosen Mutter die Kruzifixe in den Klassenzimmern entfernt. So weit, so nachvollziehbar, schließlich ist eine Schule kein Ort der Verkündung, und schon gar nicht exklusiv für eine Glaubensrichtung. Und auch hier fühlten sich wieder Gläubige angegriffen, die es für selbstverständlich halten, ihre ureigene Symbolik allen zuteil werden lassen zu müssen.

Irgendwie mutet es aber schon recht seltsam an, dass es stets versprengte notorische Querulanten sind, die sich partout an christlichen Symbolen stoßen, die harmlos Klassenzimmer-Wänden hängen und wirklich niemandem weh tun!

Wie dieser Kommentator wohl auf die Anbringung eines Fliegenden Spaghettimonsters direkt neben dem Kruzifix reagiert hätte, oder gar eines Pentagramms ? Wie sehr sich die Gläubigen davor fürchten, daß ihr persönlicher Glaube nicht mehr allbestimmend im Zentrum der Gesellschaft steht, sieht man auch hier:

Und ich denke mal, wenn man Österreich bzw. den europ. christlichen Ländern alles nimmt, werden Christen ihre Religion nicht mehr ausüben dürfen, denn Religionsfreiheit gibt es hauptsächlich in katholischen Ländern (…)

Ja, da ist es .. das Ende der Religionsfreiheit. Für diese Kommentatorin gehört es wie selbstverständlich zur Ausübung ihrer Religion, allen Menschen ihr Symbol vor die Nase zu hängen.
Ob sich ein religionsfreies Kind an der Darstellung einer (im Übrigen sehr brutalen) Hinrichtungsmethode stören könnte, steht nicht zur Debatte, denn das, was man selber hineininterpretiert, muss auch für jeden Außenstehenden sofort ersichtlich sein. Wer es anders deutet, ist dann schnell ein „fanatischer Atheist“, der all das Gute, was da aus den heiligen Schriften herausgelesen und in sie hineininterpretiert wird, mit aller Macht ausrotten will.

Die geradezu panischen Reaktionen, die es hervorruft, wenn man als Atheist sein Recht auf negative Religionsfreiheit einfordert, tragen vereinzelt schon paranoide Züge. Wer es nicht glaubt, dem empfehle ich, einfach mal während eines Kirchentages in ein familienfreundliches Hotel einzuchecken, und sich in einem T-Shirt mit dem Wort „Atheist“ auf der Brust in den Frühstückssaal zu setzen. Lassen Sie sich Zeit, trinken Sie ihren Kaffee in aller Ruhe, und beobachten Sie das Verhalten junger Eltern, die mit besorgter Miene ihre Kinder vor ihrem Anblick abschirmen.

Woher nun rührt diese Angst ? Ist es das Bewusstsein, seinen Glauben nicht rational untermauern zu können, die Sorge, der Teufel werde sich diejenigen holen, die nicht bedingungslos der heiligen Schrift ergeben sind ? Bei den Kirchenoberen ist es vermutlich eine weit weltlichere Triebfeder, die den erbitterten Kampf gegen alles Religionslose in Gang hält. Schließlich geht es hier um Geld. Geld, das man auch von denen haben möchte, mit denen man eigentlich nichts am Hut hat, wie zum Beispiel den 1,2 Millionen Hamburger Bürgern, die nicht in der Evangelischen Kirche sind. Die Angst, nicht mehr wie selbstverständlich aus den Töpfen der Allgemeinheit versorgt zu werden, bringt den Klerus auf die Zinne.

So sehr auch von den Kanzeln Verständigung, Miteinander und Nächstenliebe beschworen wird, eine freundschaftliches Verhältnis mit Gottlosen scheint bei vielen bald schwerer als die Akzeptanz von Homoehe und Abtreibung. Denn beim Geld – das weiß der Volksmund schon lange – beim Geld hört die Freundschaft auf.