Kirchenaustritt – muss das sein ?

Dieser Beitrag stammt aus November 2012, und wurde bereits hier http://www.humanist-news.com/glaube-und-religion-kirchenaustritt-muss-das-sein/ veröffentlicht.

Über wenig in der Welt lässt sich so vortrefflich streiten wie über den Glauben. Kaum eine Ansicht wird mit so viel Herzblut vertreten oder abgelehnt wie die Frage, ob es einen Gott gibt – oder welcher es denn nun ist, und was genau er von uns will.

Die Palette an religiösen Vorstellungen ist breit, gemeinsam haben sie aber vor allem eines – zu jeder größeren Religion gibt es auch einen Dachverband, mit einem Oberhaupt und einer Marschrichtung. Wenn man nun den Zusammenhang zwischen Glauben und Kirche einmal genauer betrachtet, so erkennt man schnell zwei wichtige Grundpfeiler.

Der Mensch ist ein Herdentier. Was auch immer man mag, meint, glaubt oder tut – in der Gemeinschaft macht es einfach mehr Spaß. Vielfach ist es unumgänglich, sich zusammen zu tun. Ein Schützenverein kann einen Schießstand unterhalten, was dem einzelnen Schützen kaum möglich sein dürfte. Manchmal ist es aber auch einfach nur der Spaß an der Freud, etwas in der Gesellschaft Gleichgesinnter zu erleben. Nur aus diesem Grund gibt es z.B. Justin-Bieber-Fanclubs.

Es geht also nicht nur um die Gemeinschaft, es geht auch ganz wesentlich um Einfluss und Macht. Auch wenn praktisch jeder gerne eine saubere, tierfreundliche Umwelt hätte – ohne Organisationen wie Greenpeace oder Parteien wie die Grünen wären viele ökologische Ziele nie erreichbar gewesen. Mit den Kirchen verhält es sich nicht grundlegend anders. Den Glauben an ein höheres Wesen kann man ganz für sich alleine haben, aber es ist immer schön zu wissen, daß es auch Gleichgesinnte gibt. Und wenn man diesen Glauben auch leben will, so macht es Sinn, sich zusammen zu schließen. Ein Gemeindehaus, eine Kirche, ein Prediger – all das lässt sich nur in der Gemeinschaft realisieren. Kleine, unabhängige Gemeinden gibt es zuhauf.

Doch wo liegt nun die Notwendigkeit, sich in größerem Rahmen zu organisieren? Hier kommen die Faktoren Einfluss und Macht erst richtig zum tragen. Wie auch bei den ökologischen Zielen der Umweltschützer kann man religiöse Vorstellungen nur dann einer breiten Masse auferlegen, wenn man eine große Organisation im Rücken hat. Und ähnlich wie bei politischen Parteien wird es auch hier immer Reibungspunkte geben. Man mag einer Partei beitreten, weil man mit ihrer groben Marschrichtung konform geht, aber im Detail findet man auch immer Punkte, denen man widerspricht.

Was das für die Kirchen bedeutet, liegt auf der Hand. Solange die Marschrichtung stimmt, hat man seine Schäfchen sicher, und kann beginnen, seine Ziele abzustecken. Die Deutungshoheit über religiöse Texte wird zentralisiert. Das, was einige wenige Auserwählte aus den Schriften herauslesen und hineininterpretieren, wird für alle verbindlich gemacht – um es dann auch denen aufzubürden, die es für sich selbst ganz anders deuten.

Hier trennen sich der Glaube und die Kirche wieder. Wer es nicht für richtig hält, den Menschen – grade auch denen in der sogenannten dritten Welt – den Gebrauch von Kondomen zu untersagen, oder Kindern schon im Klassenzimmer religiöse Symbole vor die Nase zu hängen, auch wenn diese den vorherrschenden Glauben gar nicht teilen, der hat Grund, sich von den vatikanischen Dogmen loszusagen und seinen katholischen Glauben in freien Gemeinde zu leben, die sich nicht der Deutungshoheit des Vatikans unterwirft, und die nicht die Machtbestrebungen und Missionierungsdoktrien der Kirchenoberen unterstützt.

Wer gleichzeitig gläubig und selbst-denkend ist, wer seinen Glauben leben möchte, ohne ihn Anderen aufdrängen zu wollen, der braucht keine Weltkirche. Und genau diese Menschen sollten dann auch den Mut und die Konsequenz haben, den Kirchen – nicht dem Glauben – den Rücken zu kehren.

Kirchenaustritt – muss das sein? Ja, es muss sein. Um den Glauben, den man vertritt, nicht den Machtgelüsten einiger weniger zum Spielball zu machen.