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Die AfD und die Beschneidung

Wer dieser Tage einen Blick in die deutsche Presse geworfen hat, ist vermutlich auch über den jüngsten „Aufreger“ in Puncto AfD gestolpert. Denn bei der Lektüre des – nach Angaben der Partei selbst noch rudimentären – Parteiprogramms stießen findige Leser auf eine Passage, in der ein Verbot von rituellen Beschneidungen an Minderjährigen gefordert wurde.
Wie erwartet folgten die Antisemitismusvorwürfe auf dem Fuße, und Frauke Petry ruderte auch umgehend zurück – dies sei keineswegs Konsens und auch noch gar nicht beschlossen.

Quelle: www.alternativefuer.de

Quelle: www.alternativefuer.de

Nun mag man sich fragen, wie denn ausgerechnet dieses Thema es in das noch unvollständige Parteiprogramm schaffen konnte, und der bisherige Wahlkampf legt die unschöne Antwort darauf nahe: einige Kräfte wollten es wohl instrumentalisieren, um analog zu den Parolen von Höcke & Co. ein Bild vom „barbarischen wilden Muselmanen“ zu zeichnen.
Auf den ersten, flüchtigen Blick mag dies auch alles einen Sinn ergeben, doch schaut man tiefer, so wird einem klar warum man diese Forderung nicht auf den großen Plakaten der AfD fand. Denn die Beschneidung von Kindern wird in Deutschland vor allem am jüdischen Ritus der Brit Mila festgemacht. Nicht, weil es die größte Gruppe unter den beschneidenden Communities wäre, sondern weil die Praxis von dort aus am vehementesten und in Bezug auf politische und mediale Kreise auch am wirkungsvollsten verteidigt wird, mit tatkräftiger Unterstützung auch aus den beiden christlichen Kirchen – welche dabei wohl weniger jüdische oder muslimische Eltern als vielmehr den Wunsch im Auge gehabt haben dürften, weiterhin religiöse Vorstellungen über Gesetze erheben zu können. Die kindlichen Opfer sind dabei ein Kollateralschaden, dessen Hinnahme angesichts des Umgangs zumindest der katholischen Kirche mit den eigenen Missbrauchsopfern nicht mehr verwundern sollte.
Und diese Klientel will man sich als betont christlich-konservative Partei natürlich nicht verscherzen.

Doch damit hört es noch nicht auf, denn wer sich ein wenig mehr mit der AfD beschäftigt, dem fallen neben Steuersenkungen für Gutverdiener und Abschaffung des Mindestlohns auch noch weitere Punkte ins Auge – so wird ein starker Einfluss kirchlicher Kräfte begrüßt, während in Bezug auf die Kindererziehung „preußische Tugenden und Autorität“ gefordert werden.
Das Kind wird wieder zum Gegenstand, den es den eigenen Überzeugungen anzupassen gilt – sei es nun geistig durch Unterrichtsinhalte, körperlich durch das Messer oder – wie im Falle der evangelikalen Sekte der „12 Stämme“ – auch mal mit bibeltreuer Züchtigung. Und somit wird aus Frau Petrys Rückzieher bei genauerem Hinsehen nur eine konsequente Fortführung des Parteiprogramms. Denn eine Unterordnung des Rechts unter religiöse Vorstellungen und eine Objektifizierung von Kindern, wie sie die zwangsweise Beschneidung von Kindern darstellt, passt hervorragend zum Weltbild der rechtspopulistischen Emporkömmlinge.

Erste Stimmen kommentierten den Rückzug als „Entscheidung für das Grundgesetz“ – wohl in der irrigen Annahme, daß dieses ein Recht auf die Ausübung körperlich verletzender religiöser Riten an Dritten garantieren würde. Dem ist zu widersprechen, denn daß der „Beschneidungsparagraph“ 1631d BGB mit dem Grundgesetz zu vereinbaren wäre, das ist angesichts der Rechte auf körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung, Gleichbehandlung der Geschlechter und nicht zuletzt auch auf die negative Religionsfreiheit des Kindes völlig abwegig.

Unterm Strich werden zwei Dinge klar:
– die Forderung, daß eine zwangsweise Beschneidung von Jungen erlaubt sein müsse, fügt sich nahtlos in das Weltbild der AfD ein
– wenn es darüber zu berichten gilt, glühen bei den Redaktionen die Drähte Richtung ZdJ und ZdM, doch mit einer Gruppe wird sich auch 4 Jahre nach Beginn der Beschneidungsdebatte in Deutschland nicht auseinandergesetzt: mit denen, die davon betroffen sind und unter den Folgen zu leiden haben. Denn welchen „Qualitätsjournalisten“ interessieren schon die Opfer, wenn sich saftige Schlagzeilen auch ohne fundierte Recherche basteln lassen.