Religiöser Dialog ?!

Religiöser Dialog

Die „Woche der Brüderlichkeit“ hatte in diesem Jahr den Umgang mit der wachsenden Säkularität zum Thema. Ein für die Kirchen sehr wichtiges Thema, geht es doch um hierbei um die „Kundenzufriedenheit“.
Einen gesellschaftlichen Dialog wolle man herbeiführen zwischen den religiösen und säkularen Bürgern hieß es, um den Gottlosen die Bedeutung christlich-jüdischer Traditionen für die europäischen Kulturen, der Religionsfreiheit und des Rechts auf religiöse Erziehung wieder nahezubringen.

Die Evangelische Akademie Baden, einem Banner auf ihrer Webseite zufolge „protestantisch, weltoffen und streitbar“, nahm dies zum Anlass, gleich in die Vollen zu gehen. Ein Kolloquium über das neue Beschneidungsgesetz, den Paragraphen 1631d BGB, jenes Gesetz, welches im vergangenen Winter trotz massiver Proteste von Ärzten, Juristen, Menschen- und Kinderrechtsgruppen verabschiedet wurde. Auf Druck religiöser Lobbyisten entstanden, erlaubt es Eltern, ohne medizinischen Grund ihren Söhnen die Vorhaut amputieren zu lassen. Auch religiöse Gründe müssen nicht vorhanden sein, der bloße Wille der Eltern war dem Gesetzgeber hierbei schon genug.

Angesichts der damit verbundenen umfassenden Missachtung der Rechte der betroffenen Knaben ist es nicht verwunderlich, daß 70% der Bevölkerung dieses Gesetz ablehnen, was bedeutet, daß auch rund die Hälfte der Kirchenmitglieder nicht mit der vehementen Unterstützung ihrer Kirchen für dieses Gesetz einverstanden sind. Mehr als genug Anlass also, den versprochenen Dialog mit diesem Thema zu beginnen.

Was sich nun die Evangelische Akademie Baden unter einem Dialog vorstellt, konnte man sich am 7.März vor Augen führen. Ein buntes Potpourri aus Befürwortern der Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Kinder war geladen, um dem Publikum die Position der Kirche hierzu nahe zu bringen. Auch ein Mitglied des Facharbeitskreises Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V. war auf dieser Veranstaltung vertreten. Freilich nicht als Referent. Dies hatte die Akademie trotz eindringlicher Bitte angelehnt. Im Publikum wäre man willkommen, hieß es, und immerhin war man bereit, den Betroffenen mit dem Moderator bekannt zu machen und ihm – im Gegensatz zum restlichen Publikum, das Fragen nur schriftlich einreichen durfte – das Wort zu erteilen. Eine Erwähnung dieser Gegenposition in der Pressemitteilung hielt man freilich nicht für nötig.

Die kirchliche Seite führt also die „Tradition“ fort, die die Politik in der Debatte des letzten Jahres begründet hatte. Denn auch dort waren diejenigen, die als Kinder ohne ihre Zustimmung beschnitten wurden und heute unter den Folgen zu leiden haben, als Diskussionsteilnehmer nicht erwünscht. Weder im Bundesjustizministerium, noch im Ethikrat oder im Rechtsausschuss wollte man die Argumente derer hören, um die es im §1631d eigentlich geht.
Es reicht den klerikalen Vertretern offenbar, immer aufs neue Respekt für ihre Ansichten und religiösen Traditionen zu fordern, im Paket mit Sonderrechten, die eben jene über die im Grundgesetz verbrieften Rechte kleiner Jungen stellen.
Doch wieso beteiligen sich die christlichen Kirchen überhaupt so beflissen an der Verteidigung blutiger Riten, die doch auf den ersten Blick nur für Moslems und Juden eine Bedeutung haben ? Ein brüderlicher Schulterschluss mit der spirituellen Konkurrenz ? Mitnichten !
Es geht den Kirchen hier nicht um die Kinder, ein sehr viel gewichtigerer Grund treibt den Klerus an, Menschenrechtsverletzungen als religiöses Vorrecht einzufordern. Es geht um Macht – und um Geld.

Die Kirchen Deutschlands hängen am Tropf des Steuerzahlers. Rund 20 Milliarden Euro lässt sich der Staat den seelischen Beistand jedes Jahr kosten – zusätzlich zu den Kirchensteuern. Daß mehr als ein Drittel davon aus den Steuern jener Bürger kommt, die keiner Kirche angehören, sei hier nur am Rande angemerkt. Diese Subventionen sieht man bedroht. Bedroht durch Kritik an ihrer Rechtmäßigkeit und ihrem umstrittenen Nutzen für die Gesellschaft. Hier schließt sich der Kreis, denn würde man hinnehmen, daß die religiöse Tradition der Kindesbeschneidung (an Jungen, wohlgemerkt – der Schutz der Mädchen ist auch den Kirchen wichtig, ungeachtet eventueller religiöser Motivationen) dem geltenden Recht untergeordnet wird, so befürchtet man offenbar, daß auch andere Sonderrechte demnächst auf dem Prüfstand landen könnten. Und sollte der Staat eines Tages nicht mehr die Ausbildung und Gehälter der Missionare – Pardon, Religionslehrer – bezahlen wollen, oder die Besoldung der Bischöfe und Kardinäle, so müsste man ja auf die – zumindest im Falle der römisch-katholischen Kirche – beträchtlichen Reichtümer der Kirche zurückgreifen. Die eigene Bekehrungsarbeit zu bezahlen – nein, das wäre den Kirchen dann doch zu viel verlangt.

Und so trommelt man weiter fleißig auf den Busch, um den Eindruck zu bewahren, die kirchlichen Werte allein würden das gesellschaftliche Gefüge Europas zusammenhalten. Daß all die vielen Freiheiten und Rechte der Menschen, die wir genießen dürfen, den Vorbetern im Laufe der Jahrhunderte mühsam abgetrotzt werden mussten und noch immer müssen, lässt man dabei freilich stillschweigend unter den Tisch fallen.
Gleichstellung von Frauen, Religionsfreiheit und Toleranz gegenüber Andersgläubigen, Rechte für Homosexuelle, das Recht auf Verhütung – die Liste ließe sich weit über den Rahmen dieses Blogs hinaus weiterführen.
Sei es die Vertuschung von Misshandlung und sexuellem Missbrauch in kirchlichen Kinderheimen, Diskriminierung von Religionslosen und Homosexuellen in kirchlichen Einrichtungen, Benachteiligung von Arbeitnehmern, verweigerte Hilfeleistung für vergewaltigte Frauen – nichts von alledem scheint den Klerus davon abzuhalten unermüdlich weiter zu propagieren, die organisierte Religion wäre ein Hort an Verständnis und menschlichen Werten.

Der angestrebte Dialog mit den säkularen Teilen der Bevölkerung beginnt, wie zu befürchten war – als jämmerliche Farce.