Die deutschsprachige Wikipedia definiert Objektpermanenz als „die kognitive Fähigkeit, zu wissen, dass ein Objekt (oder eine Person) auch dann weiterhin existiert, wenn es sich außerhalb des Wahrnehmungsfeldes befindet“.
Diese Fähigkeit können neben dem Menschen nur einige wenige höher entwickelte Tierarten erlangen, wie zum Beispiel Hunde oder Affen.
Wo sie nicht beherrscht wird, „verschwinden“ Gegenstände oder andere Tiere vermeintlich, wenn sie nicht mehr gesehen werden – darauf spielt auch das (falsche) Gerücht an, Strauße würden bei Gefahr den Kopf in den Sand stecken.
Überträgt man die Definition auf die mentale Ebene, so erhält man etwas, das ich hier der Einfachheit halber als „Ereignispermanenz“ bezeichnen möchte – also die Fähigkeit zu erkennen, daß ein Gedanke, eine Idee oder eine Debatte auch dann noch besteht, wenn man sie selbst zu ignorieren versucht.
Und eben diese „Ereignispermanenz“ vermisse ich immer wieder aufs Neue, wenn ich das Verhalten religiöser Gruppen bezüglich unangenehmer Themen ansehe.
Nichts wird wahrer, je öfter man es wiederholt, nichts löst sich in Wohlgefallen auf, wenn man es nur hartnäckig genug ignoriert. Letzteres gilt für die Stromrechnung im gleichen Maße wie für gesellschaftliche Debatten.
Grade in klerikalen Kreisen wird oft vom Dialog gesprochen – in zahllosen Statements wird er beschworen, schmerzlich vermisst oder angeboten. In der Praxis sieht das dann freilich wieder ganz anders aus – hier wird sich dann gerne gedrückt, wenn Gruppierungen, die andere Ansichten vertreten, zu eben diesem Dialog einladen.
So war es während des „Säkularen Frühlings“ des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes, in dessen Zuge sich Kirchenvertreter dem öffentlichen Gespräch nicht stellen mochten, sonder lieber solo vor die Kameras traten – um dort von „mangelnder Toleranz“ und „fehlendem Dialog“ zu schwadronieren.
Und auch in der Beschneidungsdebatte schmoren die klerikalen Kreise bevorzugt im eigenen Saft. Hier findet der Dialog nur im Umfeld des eigenen Weltbildes statt, und wenn es darum geht, sich mit abweichenden oder gar gegenteiligen Meinungen auseinandersetzen zu müssen, geht man nahtlos zur Vogel-Strauß-Politik über.
So ist es für das evangelische Onlinemagazin „chrismon“, dessen Geschäftsführer Jörg Bollmann der EKD nahesteht, ganz selbstverständlich, nicht nur mit wohlwollenden Worten die Ausstellung „Haut ab!“ im Jüdischen Museum Berlin zu loben – es werden auch gleich noch Eintrittskarten und Ausstellungskataloge verlost.
Selbstredend darf am Ende des Textes natürlich der mittlerweile obligatorische Verweis auf die Judenverfolgung im dritten Reich nicht fehlen – sonst käme am Ende noch jemand auf die Idee, Kinderrechtsbewegungen könnten auch noch andere Motive verfolgen als blanken Antisemitismus.
Ob die Fixierung der Ausstellung alleine auf den kultisch-mythischen Aspekt der Komplexität des Themas überhaupt gerecht werden kann – obgleich die Debatte seit 2012 eingangs erwähnt wurde – lässt chrismon offen.
Damit zeigt das Magazin viel Nähe zur Evangelischen Kirche Deutschlands. Denn auch die zeigt herzlich wenig Interesse daran, sich mit Ansichten, die vom abrahamitischen Weltbild abweichen, in irgend einer Form zu beschäftigen. So waren sämtliche evangelischen Akademien zu einem vom Verein MOGiS e.V. und pro familia NRW ausgerichteten wissenschaftlichen Symposium eingeladen, auf dem das Thema „Genitale Autonomie“ von Medizinern, Rechtswissenschaftlern und Judaisten diskutiert wurde. Reagiert wurde auf diese Einladungen indes nicht, nicht einmal zu einer Absage konnten die Verantwortlichen sich durchringen – Augen und Ohren zu und hoffen, daß es dann von selbst verschwindet, scheint man sich gedacht zu haben.
Ein Dialog, das sollte man den Herren (und Damen, soweit die jeweilige Religion dies denn zulässt) Würdenträgern vielleicht einmal erklären, ist sinnlos, wenn man ihn nur mit Menschen führt, mit denen man eine Sichtweise teilt, und alles davon Abweichende ausgrenzt.
Er wird so zum Monolog, zur Predigt, zur abwehrenden Bekenntnis: „Ich habe meine Meinung, bitte verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen“.
Die klerikalen Rufe nach dem Dialog verkommen zur Farce, und mit jedem weiteren Tag, den man damit verbringt, sich dem Austausch zu verschließen, tritt vor allem eines immer deutlicher zu Tage: daß die religiöse Lobby nur ein einziges Ziel verfolgt, den bedingungslosen Erhalt ihrer Privilegien und Sonderrechte – wenn es sein muss auch auf Kollisionskurs mit Recht, Ethik und Moral.
Und so schmoren sie fröhlich weiter im eigenen Saft und hoffen, daß die Argumente, die sie sich zu hören weigern, dadurch wie von Geisterhand verschwinden.
„Glückselig die Armen im Geist, denn ihrer ist das Reich der Himmel.“, steht in der Elberfelder Bibel. Man ist versucht, es wörtlich zu nehmen.