Ist Atheismus eine Form der Religion ?

Auch dieser Artikel von Dezember 2012 wurde zuerst auf http://www.humanist-news.com/ist-atheismus-eine-form-der-religion/ veröffentlicht.

Die Aussage, daß auch der Atheismus eine Form der Religion sein, ist nicht neu. Schon viele haben dazu geschrieben, haben ihre Argumente für oder wider diese These zu Papier und Bytes gebracht. Wieso mache ich mir also die Mühe, mich noch einzureihen in die lange Liste derer, die sich damit beschäftigt haben ? Weil ich es kann. Und weil die Diskussion, was denn nun stimmt, noch lange nicht zum Abschluss gekommen ist.

Die Frage, mit der ich beginnen will, ist die nach der Definition. Atheist zu sein, sagt zuallererst nur eines aus – nicht Theist zu sein. Ist es schon eine Eigenschaft für sich, etwas nicht zu sein ? Wohl kaum. Es ist eher eine zwangsläufige Folge. Der Mensch als solches, die individuelle Persönlichkeit, definiert primär sich über das, was er ist. Das fängt bei grundlegenden Gegebenheiten an – ich bin ein Mann, und als logische Folge daraus automatisch auch Nicht-Frau.

So weit, so unstrittig. Doch wie sieht es mit den Variablen meines Lebens aus, den Dingen, die ich verändern kann, und die mich verändern können? Hier beginnt der gesellschaftliche Kontext, in dem man sich bewegt. Nehmen wir einen Fußballfan. Davon gibt es viele, zumindest in Europa. Es ist so sehr verbreitet, zu dieser Gruppe zu gehören, daß ein Desinteresse an dieser Sportart in der Gesellschaft auffällt. Es wird nicht selten mit Verwunderung aufgenommen, daß einem dieses Kulturgut keinerlei Emotion zu entlocken vermag. Die Fußballbegeisterten unter den Lesern werden wissen, was ich meine. Füge ich jetzt allerdings noch hinzu, daß ich auch dem Sport des Baumstammwerfens nicht viel abzugewinnen vermag, so wird das bestenfalls die Frage aufwerfen, was das denn überhaupt sei.

Ich bin also nach nur 2 Absätzen bereits Atheist, Afussballfan und Abaumstammwerfer. Wie lang ich diese Liste noch werden lassen könnte, mag sich jeder einzelne am eigenen Beispiel vor Augen führen. Was auffällt ist, daß ein Desinteresse an etwas erst dann einer Erwähnung würdig zu sein scheint, wenn es in der Gesellschaft einen gewissen Schwellenwert allgemeiner Akzeptanz überschritten hat. Und damit kommen wir wieder zurück zum Theismus.

Was ist den nun dieser Theismus, der mich augenscheinlich einer relevanten Gruppe zuordnet, obwohl – oder besser, grade weil – ich ihm mit Desinteresse begegne? Es ist der Glaube an höhere Mächte, an einen oder mehrere Schöpfergötter. Ein Form des “glaubens”, die sich von vielen anderen abhebt. Man kann glauben, daß einen das neue Deodorant wirklich einen ganzen Tag lang mit seiner Wirkung beglückt – schließlich steht es ja so auf der Dose, und es ist sicherlich auch schon einigen passiert.

Der Glaube im religiösen Sinne unterscheidet sich davon. Er beruht auf der Annahme, daß die Texte, auf denen er basiert, wahr sind – ganz unabhängig davon, in wie weit sie sich beweisen lassen, oder auch nur im Einklang mit den Naturgesetzen stehen. Quasi das Deo mit der 52-Wochen-Wirkung.

Es steht also ein Behauptung im Raum. Eine, deren Beweis einem ob ihrer enormen Dimension angebracht erscheint. Würde ich an die enorme Potenz des 52-Wochen-Deos glauben, ohne einen stichhaltigen Nachweis seiner Wirksamkeit? Wohl eher nicht. Glaube ich an die Möglichkeit, Wasser in Wein zu verwandeln? Wir alle wissen, wie das geht – man gießt das Wasser an einen Rebstock, welcher es in die Trauben verbringt. Es folgt die Ernte, das Keltern, die Gärung. Nichts neues, doch halt – sind all diese Zwischenschritte nötig? Geht das denn nicht auch direkt, einfach so? Schenkt man den alten Schrift Glauben, so machen wir uns viel zu viel Arbeit. Jesus verwandelt dort Wasser in Wein. Und in sehr Guten sogar, einfach so. Viele Winzer würden sich, dessen bin ich mir sicher, sehr dankbar zeigen, wenn man ihnen verriete, wie das geht.

An dieser Stelle ist Glauben gefragt. Substanz A (Wein) besteht aus Substanz B (Wasser) und weiteren Inhaltsstoffen C. Um also aus B A zu machen, muss C hinzugefügt werden. Das C einfach aus dem nichts hinzukommt, widerspricht den Gesetzen der Physik. Um also die biblische Geschichte der Hochzeit zu Kana glauben zu können, muss man es einer höheren Macht zugestehen, C einfach aus dem Nichts heraus zu erschaffen. Das ist eine, wie ich meine, signifikante Hürde. Hat schon einmal jemand versucht, eine Tonne Gold, die er mittels höherer Macht in seinem Keller aus dem Nichts zu erschaffen fähig zu sein vorgibt, einer Bank als Sicherheit anzubieten?

Sie sehen, es ist nicht einfach für jemanden, der sein Leben an beweisbaren Tatsachen ausrichtet, an die Überlieferungen zu glauben, die in den religiösen Texten niedergeschrieben sind. Somit ist eigentlich die Ablehnung des Glaubens an eben diese nichts weiter als die Forderung, sie mit Belegen zu untermauern. Atheismus ist also ein Vorbehalt. Ich glaube es nicht, wenn es nicht bewiesen ist, schon gar nicht, wenn es meinem Wissen widerspricht. Nichts anderes also als die Ablehnung anderer unbewiesener Behauptungen, die sich nicht mit bewiesenen vereinbaren lassen. Ich würde auch einer Behauptung nicht glauben, und ich vermute, daß das nachvollziehbar ist, daß es Superhelden mit Superkräften gibt.

Da stehe ich nun, und sage, daß ich nicht an Materie aus dem Nichts und Wunderkräfte glaube. Sachlich betrachtet ist das ja auch voll und ganz nachzuvollziehen. Mir gegenüber steht nun der Theismus, der Glaube, die Religion. Religion ist die Akzeptanz dessen, was sich dem Versuch der Belegung entzieht. Die Akzeptanz von Widersprüchen. Religion basiert auf der Bereitschaft, Dinge als Wahrheit zu betrachten, ohne daß man dafür einen vernünftigen Grund hat. Einfach nur deshalb, weil es jemand vor langer Zeit mal so zu Papyrus gebracht hat.

Bleibt immer noch die Frage offen, ob denn nun Atheismus eine Religion ist. Und wieso man diese Frage überhaupt stellt. Letzteres ist einfach zu beantworten – Theismus ist ein so weit verbreitetes Phänomen, daß es in einer Gesellschaft auf den ersten Blick sonderbar anmuten kann, daß es auch andere Ansichten gibt. Dem Gläubigen erscheint der Glaube als normal, als etwas wie ein Quasi-Standard. Man sucht nach einer Erklärung, wie es möglich sein kann, daß jemand anderes die eigenen Ansichten nicht teilt, wo sie einem doch so allgemeingültig erscheinen. Es ist die Unvorstellbarkeit, daß ein Mensch ohne Religion zu leben in der Lage sein könnte, die die Akzeptanz dieser Tatsache in den Bereich der Unmöglichkeit rückt. Wer dem Glauben an etwas so viel Relevanz beimisst, daß es für ihn zu einem zentralen, unumstößlichen Grundstein des Lebens wird, kann eine Ablehnung dessen nur als eine andere Form des Glaubens interpretieren, da sich für ihn die Abwesenheit von Religion nicht als Option erschließt.

Atheismus als eine Form von Religion zu bezeichnen widerspricht dem Kern dessen, was Atheismus in meinen Augen ist. Nicht an einen Gott zu glauben, ist wie nicht zu glauben, daß es morgen Erdbeertorte regnet. Und das ist ganz sicher vieles, aber keine Religion.