Wer heute einen Blick in die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung geworfen hat, konnte einen sehr interessanten Artikel über mögliche Betrugsfälle bei Krankenkassenabrechnungen lesen. Das ist soweit nicht neu, haben Skandale dieser Art doch schon so etwas wie eine Tradition. In diesem Falle geht es aber um mehr als „nur“ billige (und oftmals minderwertige) Prothesen, die zum Vollpreis abgerechnet werden. Diesmal geht es ans Eingemachte.
Die Vermutung, deutsche Kinderchirurgen würden Beschneidungen falsch abrechnen, klingt dabei zunächst eher harmlos. Doch es steckt mehr dahinter. Es geht dabei um folgende Situation: die Eltern eines Jungen möchten ihn beschneiden lassen – sei es nun aus religiösen (der Herr hat’s befohlen), traditionellen (das macht man bei uns so), moralischen (weniger Sensibilität = weniger Selbstbefriedigung) oder ästhetischen Gründen (wir finden das hübsch). Nun ist eine derartige Operation zwar – im krassen Widerspruch zu diversen Grundrechten des Kindes – im Dezember des vergangenen Jahres von der damaligen Bundesregierung für alle genannten Motivationen legalisiert worden, aber als medizinisch nicht notwendiger Eingriff immerhin noch ein Kostenfaktor für die Eltern.
Und da scheinen findige Ärzte Abhilfe anzubieten. Statt die Operation auf Kosten der Eltern durchzuführen – und damit das Risiko einzugehen, diese potentielle Kundschaft möglicherweise an preisgünstigere rituelle Beschneider zu verlieren – diagnostiziert man kurzerhand eine Phimose. Die Kassenärztliche Vereinigung verzeichnete laut FAS bei Jungen unter 5 Jahren einen 34%igen Anstieg in nur 3 Jahren. Nun sind behandlungsbedürftige Phimosen grade in diesem Alter eher selten, und die Alternativen zu einer Beschneidung mannigfaltig – eine Amputation der Vorhaut sollte die absolute Ausnahme sein. Der dennoch starke Anstieg der medizinisch indizierten Eingriffe müsste also entweder auf eine regelrechte Epidemie hindeuten – oder aber auf Betrug. Auf letzteres deutet hin, daß zwar fast ausschließlich die teurere, vorhauterhaltende Präputiumsplastik abgerechnet wird, bei Nachuntersuchungen durch Kinderärzte aber fast nur Fälle radikaler Beschneidung festgestellt werden. Auch bedenklich ist hier die Aussage Karl Beckers, dem Sprecher der niedergelassenen Kinderchirurgen, der Beschneidungen als „Übungsfeld für junge Ärzte“ bezeichnete. Das Kind als Trainingsdummy.
Für Eltern und Ärzte eine klare Win-Win-Situation – die Einen bekommen ein Übungsobjekt und lassen sich ihre Trainingseinheit nicht nur von den Krankenkassen bezahlen, sondern rechnen gar eine nicht erbrachte, teurere Leistung mit falschem Code ab. Die Anderen bekommen nicht nur ihren Willen, sie bürden die finanziellen Lasten dieser rein kosmetischen Operation auch gleich noch der beitragszahlenden Allgemeinheit auf.
Wer in dieser Situation den „Lose“-Part übernimmt, ist ebenso klar – an zweiter Stelle wären das die Versicherten, die mit ihren Beiträgen dafür aufkommen müssen. An erster Stelle sind es aber die beschnittenen Jungen, die hier den Kürzeren ziehen. Nicht nur, daß sie einen wertvollen Teil ihres Körpers verlieren, sie verlieren auch noch ihre Rechte. Denn obwohl es §1631d BGB generell erlaubt, daß man ihnen einen Teil ihres Penis entfernt, ohne daß dafür ein medizinischer Grund vorliegt, ist dies heftigst umstritten – sowohl in der Medizin, als auch in der Rechtswissenschaft. Wird die Operation nun aber aufgrund einer gefälschten Diagnose durchgeführt, wird der Beschneidungsparagraph vollständig umgangen – eine medizinisch notwendige Beschneidung wäre ja in jedem Falle Legal. Somit wird der – wenn auch nur minimale – Schutz vor Missbrauch, den §1631d gerade noch so bietet, ausgehebelt, ebenso wie mögliche rechtliche Schritte seitens des späteren Erwachsenen.
Was sich auf den ersten Blick nur wie ein weiterer Abrechnungsskandal liest, ist bei näherer Betrachtung weit mehr als das – es ist ein Missbrauch des Kindes als medizinisches Versuchskaninchen, und ein eklatanter Verstoß gegen Recht und Ethik, wenn eine Verletzung seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit als medizinisch notwendig verschleiert wird.